Was ist systemisches Denken?

Ich möchte wieder, wie bereits über das philosophische Denken, von einigen Wegmarken meines eigenen systemischen Denkens erzählen. Warum und wie kam ich zum systemischen und ganzheitlichen Denken?

Eine bewusste Begegnung mit der wissenschaftlichen Systemik hatte ich in der Oberstufe meiner Schulzeit. Ich hatte das Glück, dass mir von einem Lehrer, der schon mein Interesse für Philosophie erkannte, zwei Bücher bzw. Autoren empfohlen wurden – der erste Bericht an den Club of Rome „Die Grenzen des Wachstums“ von Dennis Meadows et al. aus dem Jahre 1972 und ein Werk von Frederic Vester, der auch Autor der Bücher „Neuland des Denkens“, „Unsere Welt – ein vernetztes System“ ist und später „Die Kunst vernetzt zu denken. Ideen und Werkzeuge für einen neuen Umgang mit Komplexität“ geschrieben hat. Beide haben meinen weiteren beruflichen und privaten Lebensweg stark geprägt. Sie haben mir theoretisches und praktisches Wissen über ein Thema gegeben, das mich sehr beschäftigt – ökologische Nachhaltigkeit und die Bewahrung der Biodiversität. Es war sogar dieses Interesse der Grund, weshalb sie mir empfohlen wurden. Nun konnte ich mein Unbehagen begründen und meinem Interesse an der Umweltproblematik eine bewusste Richtung geben. Wenn richtig ist, dass aus wissenschaftlicher Sicht sowohl die Ökosphäre als Ökosystem als auch die Gesellschaft als Gesellschaftssystem oder gesellschaftlichen Systeme sowie die Interdependenzen derselben systemisch zu verstehen sind, dann sind die Systemizität und Systemik derselben zu verstehen wesentlich.

An  der Universität konnte ich die mir bekannten Ansätze nur im privaten Nebenstudium vertiefen. In den Seminaren und Vorlesungen waren sie nicht präsent. Die Systemansätze, die ich kannte, wurden in nur einem soziologischen Seminar und nur wenige Male thematisiert. Und jedes Mal abschätzig.  Sie galten als naturalistisch und technizistisch, Vester war der Biologe und der Club of Rome, nun, der mit seinen falschen Computerprognosen. Ich war über diese Interpretationen irritiert, aber auch neugierig. Ich wollte herausfinden, warum diese Bücher, Autoren und Konzepte abgelehnt werden, welche Alternativen es gibt, um die Themen zu bearbeiten, die mich interessierten. Tatsächlich kannte ich überwiegend Ansätze aus dem Denken der Umweltbewegung. Auch Rüdiger Lutz „Die sanfte Wende. Aufbruch ins ökologische Zeitalter“ (1987) oder Fritjof Capra „Wendezeit. Bausteine für ein neues Weltbild“ (1982) waren mir bekannt. Ludwig von Bertalanffy, Norbert Wiener, Humberto R. Maturana  und Francisco J. Varela oder Niklas Luhmann nahm ich erst in dieser Zeit zur Kenntnis. Besonders der Soziologe Luhmann galt als der Systemtheoretiker schlechthin. Deshalb habe ich begonnen die etablierten systemischen und systematischen Theorien zu studieren. Schließlich meine Magisterarbeit u.a. über Luhmann sowie den teilweise systemisch denkenden Gesellschaftsphilosophen und Wirtschaftswissenschaftler Friedrich August von Hayek geschrieben.

Worum geht es eigentlich im systemischen Denken? Gehen wir zurück zum zitierten Buchtitel von F. Vester: „Unsere Welt ein vernetztes System“. Es geht, wenn wir uns an den Titel halten, zunächst um Vernetzung, Verbundenheit. Diese Verbundenheit ist eine wesentliche Eigenschaft, die das Chaos und den unstrukturierten Haufen, bspw. einen Sandhaufen, von einem System, bspw. einem Ökosystem, unterscheidet, so Vester. Hildegard von Bingen (1098-1179) schreibt in einem ihrer Gedichte den bekannten Satz „Alles ist mit allem verbunden“. Aber was dann? Gilt dies, so stellt sich als hauptsächliche Frage die Frage der Ordnung „Wie ist alles mit allem verbunden?“ Und dann bspw. warum und wie könnte es anders sein.

Das ist vielleicht der wichtigste Grund, weshalb ich  mich für Systemtheorie interessiere.  Die Systemtheorie ist die Theorie der Ordnung von Komplexität und Viefalt, auch der Ordnung von Veränderung. Am systemischen und ganzheitlichen Denken hat mich immer begeistert, dass es nicht-reduktionistische Ansätze zur Ordnung von Komplexität und Vielfalt bietet oder dafür wenigstens offen ist.

Ich denke, es lässt sich leicht belegen und begründen, dass dies gegenwärtig nicht die vorherrschende Denk- und Herangehensweise ist. Es ist das analytische Denken und nicht das synthetische, ganzheitliche oder systemische Denken in der Philosophie, den Wissenschaften und in anderen Bereichen der Gesellschaft vorherrscht.

Hier werde ich theoretisch über das systemische, ganzheitliche und integrale Denken sowie über praktische Konzepte desselben schreiben.