Was ist Systemische Beratung?

Ich vertrete einen reflexiven Ansatz der Systemtheorie, der Systemwissenschaften sowie der systemischen Beratung. Ich verstehe die Systemik als einen wichtigen Versuch, die Komplexität und Vielfalt der Welt, unseres Wissens von Welt und unserer Wirkung auf Welt zu erfassen. Meinen persönlichen Werdegang in der Systemwissenschaft habe ich in einem eigenen Beitrag zur Frage „Was ist systemisches Denken?“ skizziert.

Als Philosoph und Wissenschaftler habe ich mich intensiv mit Wissenschaftstheorie und auch der Wissenschaftstheorie der Systemtheorien befasst. Ich reflektiere also nicht bloß vor dem Hintergrund eines Sytemischen Ansatzes, sondern die zahlreichen verschiedenen Systemtheorien und systemischen Ansätze selbst.

Wer von Systemischer Beratung spricht oder  hört, meint meistens einen bestimmten Systemischen Ansatz. Die am weitesten verbreitete Konzeption systemischer Beratung beziehen sich auf die Systemtheorie von Niklas Luhmann. Ich erkenne selbstverständlich an, dass diese wesentliche Erkenntnisse zum systemischen Verständnis von Welt uns unseres Wissens zur systemischen Veränderung menschlicher, personaler und organisationaler Wirklichkeiten beigetragen hat. Nur die wenigsten wissen um die Vielfalt der Systemkonzepte. Wer Luhmann kennt, kennt normalerweise Vester nicht. Wer Forrester kennt, kennt Luhmann nicht. Wer Luhmann kennt, kennt vielleicht Parsons, aber wer Fritz Simon kennt, Parsons wohl eher nicht. Und wer hat schon Wiener gelesen oder kennt Hayek als Systemtheoretiker? Wer befasst sich mit dem Systembegriff bei Kant oder Hegel und Fredmund Malik?

Was unterscheidet all diese Ansätze? Was verbindet sie alle als systemische Ansätze von Theorie und Praxis? Worin liegen die Stärken und Schwächen, die Chancen und Risiken? Und welche kann man wozu gebrauchen? Welche Konzepte sind in welchen Fällen nützlicher oder hinderlicher, machen sichtbar oder unsichtbar? Diejenigen, die sich auf Luhmann berufen und eher theoretisch verfasst sind oder diejenigen, die sich wie System Dynamics eher mit methodischen Fragen befasst haben? Ich meine, aus einer reflexionsphilosophischen Perspektive, die die Vielfalt der Systemansätze selbst systemisch versteht, müssen sich diese verschiedenen Systemansätze nicht nur ausschließen, sondern können auch als verschiedene Mittel, als verschiedene Medien und Werkzeuge der Forschung und Beratung betrachtet und genutzt werden.

Die zumindest im deutschsprachigen Raum am weitesten verbreiteten Konzeptionen systemischer Beratung greifen auf die Systemtheorie von Niklas Luhmann zurück. Ich erkenne selbstverständlich an, dass diese wesentliche Erkenntnisse zum systemischen Verständnis von Welt und unseres Wissens zur systemischen Veränderung personaler und organisationaler Wirklichkeiten beigetragen hat. Die verschiedenen Ansätze Systemischer Beratung, die sich auf Luhmann beziehen, zählen zu den wenigen Ansätzen von Beratung, die eine breite theoretische Reflexion und Grundlage sowie auf dieser Grundlage eine breite und wirksame Beratungspraxis nachweisen können.

Einige Punkte der Systemischen Beratung in dieser Traditionslinie sind aus philosophischer Perspektive bemerkenswert:

Die Systemische Beratung

  • hat eine theoretische Grundlage, kann damit theoretisch reflektiert, kritisiert und weiterentwickelt werden
  • hat mit der Verwandschaft zum Konstruktivismus einen Bezug zur erkenntnistheoretischen Grundlagendiskussion
  • hat ein Konzept des Theorie-Praxis-Verhältnisses
  • hat ein Konzept von Reflexivität (Beobachtung 1. und 2. Ordnung; Differenztheorie)
  • hat ein Konzept von Komplexität und dem Umgang mit Komplexität
  • hat ein Sprach- und Kommunikationskonzept
  • ist nicht naturalistisch und kann kulturalistisch oder dialektisch interpretiert werden
  • ist offen für verschiedene Methoden und Methodologien
  • ist in der Kritik anschlussfähig für den Diskurs der Ganzheitlichkeit
  • ist in der Kritik anschlussfähig für den Diskurs des Humanismus und der Aufklärung
  • ist anschlussfähig für den Diskurs von Autopoiesis und damit auch der Autonomie

Welche Rolle kann Philosophische Beratung im Verhältnis zur Systemischen Beratung einnehmen?

Für Beratung kann nach Niklas Luhmann und mit Fritz B. Simon zwischen Biologischen Systemen, Personalen Systemen (Bewusstseinssysteme) und Sozialen Systemen (Kommunikationssystemen) unterschieden werden. Beratung ist Sachberatung/Fachberatung oder Prozessberatung. Soziale Systeme sind personenorientiert (Paare, Familien) oder sachorientiert/aufgabenorientiert (Teams, Organisationen). Soziologische Systemtheorien sind Handlungstheorien oder Kommunikationstheorien, wobei im letzteren Fall (insb. bei Luhmann) Kommunikation nicht als Sprachhandlungen rekonstruiert werden.

Ich meine, vor einem dialektischen, perspektivischen und reflexionsphilosophischen Hintergrund müssen sich diese verschiedenen Philosophien und Systemtheorien nicht ausschließen, sondern können als verschiedene Mittel, als Medien und Werkzeuge der Beratung betrachtet und genutzt werden.
Ich richte meine Beratung an Personale Systeme, d.h. Personen, die in Organisationen tätig sind und auf sachorientierte Soziale Systeme, d.h. Organisationen.

Systemische Webinare und Systemische Managementberatung

Mit unserem Angebot systemischer Webinare als interaktive Lektürekurse zu Grundlagentexten der Systemischen Theorie und Praxis wollen wir allen Interessierten einen Begegnungsort und Diskursrahmen für die Erarbeitung der philosophischen und konzeptionellen Gehalte der Systemischen Beratung bieten, das Verhältnis von Theorie und Praxis thematisieren und als Stärke dieses Beratungskonzepts nutzbar machen und gemeinsam weitertragen.

Darüber hinaus sehe ich meine Rolle darin – insbesondere im Format der Systemischen Webinare – für die Erarbeitung der philosophischen und theoretischen Gehalte der Systemischen Beratung einen Diskursrahmen zu bieten, der das Verhältnis von Theorie und Praxis als Stärke dieses Beratungskonzepts nutzbar macht und weiterträgt. Dieser Tätigkeit gehe ich, soweit sich das Themenfeld auf Systemische Beratung im Allgemeinen bezieht, gemeinsam mit anderen nach. Wenn Sie sich auf wirtschaftliche Organisationen, wirtschaftliche Themen und die Managementtätigkeit bezieht, arbeite ich alleine.


Mäthner, Eveline, Jansen, Anne, Bachmann, Thomas (2005): Wirksamkeit und Wirkfaktoren von Coaching, in: Rauen (Hrsg.) (2005), 55-75; Rauen, Christopher (Hrsg.) (2005): Handbuch Coaching, 3. Aufl., Hogrefe-Verlag, Göttingen; Greif, Siegfried (2008): Coaching und ergebnisorientierte Selbstreflexion. Theorie, Forschung und Praxis des Einzel- und Gruppencoachings, Hogrefe-Verlag, Göttingen; vgl. Lindart, Marc (2016): Was Coaching wirksam macht. Wirkfaktoren von Coachingprozessen im Fokus, Springer Fachmedien, Wiesbaden