Was ist wirtschaftliches Denken?

In den Wirtschaftswissenschaften herrscht derzeit ein Paradigma – das neoklassische und neoliberale Paradigma. Dies gilt insbesondere für den deutschsprachigen Raum. Grimm, Kapeller & Pühringer (2017) haben in ihrer empirischen Studie „Zum Profil der deutschsprachigen Volkswirtschaftslehre. Paradigmatische Ausrichtung und politische Orientierung deutschsprachiger ÖkonomInnen“ dargestellt, dass über 90% der Ökonomen an Universitäten der wirtschaftswissenschaftlichen Orthodoxie zuzuordnen. Dies betrifft selbstverständlich nicht nur die ökonomische Forschung, sondern auch die ökonomische Lehre sowie Beiträge zur wirtschaftspolitischen Beratung und in der Öffentlichkeit. Nahezu alle Wirtschaftspolitiker, Wirtschaftsjournalisten, Wirtschaftsberater, Betriebs- und Volkswirte, Agrarbetriebswirte, Wirtschaftsingenieure etc. werden in diesem Denken der ökonomischen Orthodoxie geschult, geprüft und informiert.

Hinzu kommt, dass in den Studiengängen der VWL und BWL nur etwa 1,3% der Fächer reflexiv genannt werden können, bspw. Wissenschaftstheorie, Ideengeschichte des ökonomischen Denkens, Wirtschaftsgeschichte oder Wirtschaftsethik. Das zeitigt selbstverständlich Konsequenzen für das wirtschaftswissenschaftliche und wirtschaftliche Denken der Wirtschaft. Eine Folge ist, dass die Studierenden und Absolvent:innen dieser Fächer nicht aus diesen heraus gelernt haben Begriffe, Konzepte, Methoden, etc. in Auseinandersetzung mit alternativen, vielleicht neuen Gedanken zu reflektieren, zu kritisieren, zu begründen, weiterzuentwickeln oder aufzugeben.

Hinzu kommt, dass Konsumenten und Bürger in der Regel außer ihrer persönlichen Erfahrung als Konsumenten und Arbeitende über keinerlei Kenntnisse wirtschaftlicher Zusammenhänge verfügen, weil dieses in der Schule nur sehr wenig und selbstverständlich auch dort nicht reflexiv vermittelt werden. Der persönlichen Auseinandersetzung mit wirtschaftlichen Fragen wird nach meiner Wahrnehmung eher ausgewichen.

Ich meine jedoch, dass wirtschaftliches Wissen Allgemeinwissen sein müsste, insbesondere als Voraussetzung um unsere Gesellschaft ethisch und nachhaltig zu transformieren.
Ich vertrete den Geltungsanspruch, dass das orthodoxe neoklassische und neoliberale Paradigma in mehreren Grundtheoremen unwahr ist. Daraus folgt, dass wesentliche Schlussfolgerungen in Theorie, Empirie und Praxis aus diesen unwahren Theoremen auch unwahr sind.

Ich befasse mich in meiner Forschung insbesondere mit drei Problemen:

1. Wissenschaftstheorie

Reflexion der theoretischen und methodologisch-methodischen Grundlagen

2. Werttheorie und Normativitätstheorie

Reflexion der werttheoretischen und wirtschaftsethischen Grundlagen, insbesondere der Normativitätstheorie sowie der Nutzen- und Präferenztheorie

3. Umwelt- und Ressourcenökonomik/ Ökologische Ökonomik

Reflexion der Probleme des wirtschaftlichen Verhältnisses des Menschen zur Natur und der Nachhaltigkeit vor dem Hintergrund der unter 1. und 2. genannten Reflexionen

Die Neoklassik hat sich in der Geschichte des ökonomischen Denkens mit einer neuen Methodologie und Werttheorie gegen die vormalige Ökonomik durchgesetzt. Der Neoliberalismus ist ein Paradigma, das in der Ausweitung der ökonomischen Grundsätze auf bis dahin außerökonomische Phänomene ausdehnte.

Zur Methodologie möchte ich an dieser Stelle nur einen wesentlichen Punkt andeuten. Die Wirtschaftswissenschaft hat den Fortschritt der Strukturwissenschaften, insbesondere der Systemwissenschaften bisher nicht systematisch berücksichtigt und integriert. Die Folge ist, so meine These, dass die Phänomene und Probleme, die mit dem Wirtschaftlichen verbunden sind, unterkomplex begriffen und beschrieben werden. Das hat für meinen Fokus, die Fragen der Wirtschaftsethik und der Nachhaltigkeitsökonomik herausragende Probleme zur Folge, weil ich die These vertrete, dass die Probleme der Nutzung der Natur und der Nachhaltigkeit nicht ohne Erkenntisse systemischer Ansätze verstanden und gelöst werden können.

Die Problematik des Verhältnisses von Ökonomik und Systemik kommt auch an einer anderen Stelle zum Ausdruck. Die neoklassische und neoliberale Ökonomik vertritt nach meiner Interpretation (vgl. Hebenstreit 2011) explizit und implizit eine reduktionistische normative Position – den Subjektivismus, während das systemische und ethische Denken zumeist nicht-reduktionistische Ansätze verfolgt. Dies hat erhebliche Verwerfungen in öffentlichen Diskursen zur demokratischen Selbststeuerung unserer Gesellschaft zur Folge, weil die Denk- und Sprachkonzepte selbst in ihren ideenlogischen Wirkungszusammenhängen nicht mitberücksichtigt und nicht reflektiert werden.